Der Ausverkauf beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) hat längst begonnen. 35 statt 59,95 Euro kostet das Aufwärmhemd der Nationalspieler jetzt: ein Preisverfall von fast 42 Prozent, seit die Deutschen sang- und klanglos die WM 2018 in Russland beendeten. Bei der sogenannten „Teamgeist-Kollektion“ macht der DFB-Fanshop keine Zugeständnisse. Das „modische Kontrastprogramm“, wie es auf der verbandseigenen Website heißt, verspricht weiterhin ein Gruppenerlebnis: „Fan sein mit Leib und Seele“.
Überraschend ruhig ist es beim DFB selbst geworden, seit Mesut Özil am Sonntag „seine Maske fallen ließ“, wie es ein Präsidiumsmitglied ausdrückte, und die Presseabteilung den Rassismus-Vorwurf in einer öffentlichen Erklärung zurückwies. Die meisten Verantwortlichen sind im Urlaub. Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel, angeblich in Österreich. Zu einem Geburtstagswunsch hat die Kraft in der Sommerpause noch gereicht: Karl-Heinz Förster, der Europameister von 1980, wurde inzwischen 60 Jahre alt.
Ansonsten: Stille. Teammanager Oliver Bierhoff bereitet mit Bundestrainer Joachim Löw in fast täglichen Telefongesprächen eher im Verborgenen die WM-Analyse für die Präsidiumssitzung am 24. August vor. Der Aufschlag muss sitzen. Zwei Wochen später findet in München nicht nur das erste Länderspiel nach dem WM-Desaster statt (im Nations Cup gegen Frankreich). Vier Wochen später entscheidet sich nichts weniger als die Zukunft des obersten DFB-Bosses.
Am 27. September wird das Uefa-Exekutive im Namen des Europäischen Fußballverbandes die EM 2024 vergeben. Wie der Zufall es will: Die Wahl fällt zwischen Deutschland und der Türkei. Die EM-Vergabe ist Reinhard Grindels größtes und wichtigstes Projekt, seit er Ende 2016 im Amt des DFB-Präsidenten auf dem Bundestag in Erfurt bestätigt wurde. Die Kampagne darf nicht scheitern: Fehler werden Grindel jetzt nicht mehr verziehen; er weiß das. Stabil, aber angeschlagen
Mitstreiter im DFB beschreiben ihn zwar als „stabil“ im Auftreten. Aber auch als „angeschlagen“. Die Art und Weise, wie Grindel die Affäre um Mesuts Özils und Ilkay Gündogans Foto mit dem türkischen Staatslenker Erdogan gehandhabt hat, provoziert an der Otto-Fleck-Schneise einen Vergleich mit dem DFB-Ehrenpräsidenten Egidius Braun und der Mittelfinger-Affäre um den Nationalspieler Stefan Effenberg bei der WM 1994 in den USA.
Braun, damals DFB-Chef, zögerte nicht, als Effenberg den Fans in Dallas den Mittelfinger zeigte: Er schickte den Nationalspieler gegen den Willen von Bundestrainer Berti Vogts nach Hause und wackelte hinterher nicht eine Sekunde. Grindel dagegen diskutierte das Thema Özil/Gündogan ausgiebig im Präsidium, wollte „keine sportpolitische Dimension“ erkennen und überließ allein Bundestrainer Joachim Löw die Entscheidung, was mit den beiden passiert. Doch das war nicht das Problem.
Was man Grindel in der Causa Özil ankreidet: dass er diese Entscheidung, die „einstimmig in Abstimmung mit dem DFB-Präsidium“ getroffen worden war, hinterher doch wieder in seinem Kicker-Interview infrage stellte und den Spieler zu einer Stellungnahme in der Erdogan-Affäre drängte. So eskalierte das Thema überhaupt: Özil wurde zum Sündenbock. Man habe sich gewünscht, dass Grindel eben nicht das Fähnchen in den Wind hängt.
Die drei Özil-Stellungnahmen mitsamt Rücktritt ließen den Verband erbeben. Die Türkei nutzt die DFB-Schwäche genüsslich: Mit Stellungnahmen aus der Regierung will das Erdogan-Regime den Eindruck erwecken, dass der deutsche Fußball rassistisch motiviert ist, und auf den letzten Drücker doch noch eine Mehrheit im 20-köpfigen Exekutivkomitee erreichen kann. Der DFB ist alarmiert: Eine Niederlage Ende September würde Grindel nicht überstehen. Seine Amtszeit läuft bis Ende 2019.
Ihm, dem Quereinsteiger von der Wümme, fehlt halt die Hausmacht. Zwar sichert ihm Vizepräsident Rainer Koch Unterstützung aus dem Amateurlager zu. Aber die eigene Regionalliga-Reform, dass mehr Meister in die 3. Liga aufsteigen, konnte er vor Jahresfrist nicht in der ursprünglichen Fassung durchsetzen. Per Erlass musste Grindel die Landesverbände zur Loyalität zwingen, keine öffentlichen Stellungnahmen abzugeben. Die Profiklubs aus der Deutschen Fußball-Liga (DFL) schauen belustigt zu, was an der Verbandsspitze passiert; sie haben sich mit Grindel arrangiert.
Lahm immer an der Seite
Es ist schon auffällig, wie präsent Philipp Lahm, der WM-Kapitän von 2014, in der EM-Kampagne bei jeder Gelegenheit an seiner Seite steht: Grindel braucht diese prominente Unterstützung. Der FC Bayern hat ihm Lahm sogar als Vizepräsident nahegelegt, um die Amtsgeschäfte zu professionalisieren.
Die Sponsoren murren längst. Der DFB erwirtschaftet einen Großteil seiner Erlöse aus der Vermarktung von Spielern, die ihr Gehalt durch die Zuwendung von Konkurrenzunternehmen kassieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die DFB-Sponsoren ihrerseits einen Rabatt verlangen.